@MfNberlin: „Immer wieder ein toller Ort. Nur schade, dass man #Naturwissenschaftlerinnen und ihre Arbeit auch hier mit dem Mikroskop suchen muss.“ Das tweete ich Ende Oktober am Citizen-Science-Tag. Das Social-Media-Team reagiert prompt, bedankt sich fürs Feedback und fragt nach Erläuterungen. Die gibt es hier.

Alexander v. Humboldt, Museum für Naturkunde, Berlin ©K. Schwahlen 2019Heute will ich mein Versprechen einlösen und erklären, dass hier weibliche Forscherinnen und Entdeckerinnen so gut wie unsichtbar sind.

Verständlich, dass die Besucherinnen und Besucher von Alexander von Humboldt begrüßt werden. Der hat in diesem Jahr 250. Geburtstag und wird mir im Laufe des heutigen Tages an allen Ecken und Enden begegnen.

Die Hypothese

Fördertafeln im Museum für Naturkunde, Berlin ©K. Schwahlen 2019Vor vier Wochen ist mir aufgefallen, dass das Museum sehr männerlastig ist.

Ob Gönner oder Forscher, ob Tierpräparat oder Entdecker – es sind nur Männer, die erwähnt werden. Kann das sein? Es gab doch immer auch Naturwissenschaftlerinnen. Habe ich sie hier in diesen wunderbaren Räumen einfach übersehen?

Ich fürchte, sie werden einfach nicht erwähnt. Deswegen will ich heute in jedem Raum, an jeder Tafel, bei jedem Exponat genau hinsehen, ob ich oder die Museumsmacher*innen etwas, also die Frauen, übersehen haben.

Die Recherche

Der Dinosauriersaal im Museum für Naturkunde, Berlin ©K. Schwahlen 2016Sie sind immer wieder beeindruckend, die großen Dinosaurier-Skelette. Vor allem, wenn so viele Kinder unter ihnen stehen und staunen. Mama, Papa und Erzieherin lesen die Texte vor, was Wissenschaftler entdeckt, Taucher gefunden und Archäologen ausgebuddelt haben.

Wissenschaftlerinnen, Taucherinnen, Archäologinnen? Fehlanzeige. Okay, das ist ja auch alles schon ganz schön lange her, vielleicht waren damals tatsächlich noch nicht so viele Forscherinnen unterwegs.

Obwohl: Mary Douglas Nicol Leake aus Großbritannien war eine der bedeutendsten Paläoanthropologen des 20. Jahrhunderts. Sie fand 1959 das erste Fossil eines „Zinjanthropus“, des so genannten Nussknackermenschen [1].

Oder Etheldred Benett, deren Fossiliensammlung im 18.und 19. Jahrhundert eine der größten ihrer Zeit war. [2]

Kosmos und Sonnensystem: Mann hinterm Mond

Kosmos-Abteilung im Museum für Naturkunde, Berlin ©K. Schwahlen 2019Die Leinwand kommt immer näher, aus dem Urknall entsteht Leben, Supernovas explodieren oder implodieren, Galaxien und Spiralnebel verwirbeln, das eigene Ich ist nur ein Staubkörnchen in Raum und Zeit.

Es ist unglaublich spannend, der Entwicklung des Alls so nah, so lebendig zuzusehen und sich der eigenen Unwichtigkeit bewusst zu werden. Wir Menschen sind nur ein winziges Etwas, und doch sollte unser Zusammenleben auf dieser Erde nicht nur männlich geprägt sein.

Hier, an diesem Ort im Naturkundemuseum finde ich keinen einzigen Hinweis auf Caroline Herschel [3], die deutsch-britische Astronomin, die mehrere Kometen entdeckte, ihre Laufbahnen berechnete und die Zonen der Sternhaufen katalogisierte.

Kein Hinweis auf Maria Kunitz [4], eine der bedeutendsten europäischen Astronominnen im 17. Jahrhundert. Kein Hinweis auf die bekannteste deutsche Astronomin Maria Winkelmann [5] die z.B. das Wiedererscheinen eines Kometen im Jahr 1712 berechnet hat.

Bei dieser Ignoranz von Frauen ist es nicht verwunderlich, dass die Geschichte von der Entstehung bis heute „natürlich“ von einem Mann erzählt wird.

Zwei Männer ohne Frau ergibt einen Nobelpreis

Tafel: DNA im Museum für Naturkunde, Berlin ©K. Schwahlen 2019Kommen wir zur Entdeckung der Desoxiribonucleinsäure, kurz DNA [3]. 1953 postulierten der Amerikaner James Watson und der Brite Francis Crick das Doppelhelixmodell.

Die beiden Männer wurden 1962 für die Entdeckung der Molekularstruktur der DNA mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Leider vergaßen sie zu erwähnen, dass sie für diese Entdeckung die Forschungsergebnisse von Rosalind Franklin genutzt hatten. Ohne sie zu fragen, ohne sie zu informieren.

Rosalind Franklin war eine britische Biochemikerin, die „während ihrer gesamten Forschungszeit […] an der zögernden Akzeptanz von Forscherinnen in ihrem Fachgebiet [litt].“[6]

Tja, und leider vergaß auch das Museum für Naturkunde, Rosalind Franklin als Entdeckerin der DNA aufzuführen.

Und wenn wir schon bei Genetik und Entwicklungsbiologie sind: Eine der führenden Wissenschaftlerinnen auf diesem Gebiet ist Christiane Nüsslein-Volhard.

Die deutsche Biologin und Biochemikerin bekam 1995 den Nobelpreis in Physiologie/Medizin für ihre Forschungen über die genetische Kontrolle der frühen Embryonalentwicklung [7].

Das weiß ich nicht aus dem Museum für Naturkunde, die Informationen habe ich woanders recherchieren müssen.

Otto, Loriot und Woody Allan – wenn Männer antworten

Die großen Fragen der Menschheit im Museum für Naturkunde, Berlin ©K. Schwahlen 2019Was bedeutet uns die Natur? Was ist der Sinn des Lebens? Was ist Evolution? Was ist Leben? Was ist Wissenschaft? Was macht den Menschen zum Menschen? Was sagen Wissenschaftler über Gott?

Das sind spannende Fragen. Aus vielen Perspektiven betrachtet. Mit Blick in die Vergangenheit, aktuell im Hier und Jetzt und ganz sicher auch zukunftsweisend.

Es ist schön, in einem der hinteren ruhigen Räume des Museum zu sitzen und auf dem Textlaufband zu lesen, wer was zu welcher Frage geantwortet hat.

Aber Moment mal: Ich sitze seit rund 40 Minuten hier, lese – und staune über die vielen Antworten (ich habe nur 40 mitgeschrieben):

von den Schriftstellern Mark Twain, Jean  Paul, Erich Kästner, Isaac Asimov (der war auch Biochemiker).

von Theodosius D., einem römischen Kaiser, der lange vor der christlichen Zeitrechnung regierte.

von den Humoristen Guillermo Mordillo und Loriot.

Von Pontius Pilatus, dem römischen Präfekten, der Jesus zum Tode am Kreuz verurteilt, von dem Filmemacher Woody Allan …

Fällt was auf? Fehlt was? Richtig. Frauen haben hier nichts zu sagen. Schon gar nicht zu diesen weltbewegenden Fragen. Das traut man(n) dann doch eher den Komikern und Schriftstellern zu.

Erkenntnis

Reprografie Amalie Dietrich im Museum für Naturkunde, Berlin ©K. Schwahlen 2019Frauen kommen zu kurz im Museum für Naturkunde. Ja, Amalie Dietrich wird erwähnt. Und auch an der Digitalstation wird eine Mitarbeiterin des MfN mit ihrem Projekt vorgestellt. Als einzige Frau neben sechs Männern.

Wenn ich selbst im Museumsshop Bücher über bedeutende Naturwissenschaftlerinnen kaufen kann, erwarte ich doch im Jahr 2019, dass diese Frauen auch im Museum zu Wort kommen. Oder mindestens erwähnt werden.

Ich wünsche mir einen Ort im Museum, an denen die Besucherinnen und Besucher erfahren, welche Rolle Frauen in der Naturkunde gespielt haben und spielen.

Ich wünsche mir, dass im Museum für Naturkunde die Arbeit, die Ergebnisse, die Erfindungen und die Entdeckungen von Frauen beschrieben, dargestellt und gewürdigt werden. Ich kenne  interessante, weltoffene und über ihren Tellerrand hinausschauende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im MfN, so dass ich mich sehr wundere, dass die Leistungen von Wissenschaftlerinnen so gar nicht abgebildet werden.)

Wir sollten nicht auf der einen Seite beklagen, dass Mädchen und junge Frauen sich zu wenig für MINT-Fächer interessieren, wenn wir auf der anderen Seite nicht dafür sorgen, dass sie Vorbilder und Rollenmodelle haben.

Wir sollten auch und gerade in den Naturwissenschaften und naturwissenschaftlichen Einrichtungen sorgsam mit Worten und Sprache umgehen, denn mitgemeint ist meistens nicht mitgedacht – und noch weniger mitgemacht.

NACHTRAG

Meine Recherchen zu Frauen in der Naturkunde, in der Wissenschaft sind quick and dirty und nicht nur bei Wikipedia gewesen. Aber allein in den wenigen Stunden, die ich dafür gebraucht habe, habe ich so viele interessante Wissenschaftlerinnen, Entdeckerinnen und Forscherinnen in so vielen Fachgebieten gefunden – da müsste es für ein Museum doch ein Leichtes sein, das Geheimnis der fehlenden Frauen zu lüften.

Ich hätte da ein paar Vorschläge:

Maria Gaetana Agnesi, Mathematikerin
Florence Bascom, erste Geologin/Mineralogin beim US Geological Survey
Laura Bassi, Physikerin, Naturphilosophin und erste Professorin Europas
Tapputi-Belatekallim, Alchimistin
Jocelyn Bell Burnell, Radioastronomin
Gertrude Belle Elion, Biochemikerin, Pharmakologin, Nobelpreisträgerin

Rachel Carson, Biologin und Schriftstellerin
Margaret Cavendish, Physikerin und Naturphilosophin
Chien-Shiung Wu, Physikerin
Marie Curie, Chemikerin und Physikerin, zweimalige Nobelpreisträgerin
Cécile DeWitt-Morette, Physikerin
Dorothea Christiane Erxleben, Medizinerin

Ursula Franklin, Physikerin und Pionierin der Archäometrie
Sophie Germain, Mathematikerin
Maria Goeppert-Mayer, Physikerin und Nobelpreisträgerin
Grace Hopper, Informatikerin
Annie Jump Cannon, Astronomin
Katia Krafft, Vulkanologin

Hedwig Kohn, Physikerin
Gertrud Kornfeld, Chemikerin
Marie Lavoisier, Chemikerin
Ada Lovelace, Mathematikerin und Entwicklerin des ersten Computerprogramms
Inge Lehmann, Seismologin/Geodätin
Julia Lermontowa, Chemikerin und Physikerin

Lise Meitner, Kernphysikerin
Barbara McClintock, Zytogenetikerin
Maria Mitchell, Astronomin
Emmy Noether, Mathematikerin
Doris Schachner, Mneralogin und Kristallografin
Elisabeth Schiemann, Genetikerin

Hertha Sponer, Physikerin
Nettie Stevens, Genetikerin
Marie Tharp, Geologin und Kartographin
Theano, Mathematikerin
Margarete von Wrangell, Agrikulturchemikerin

und dann wären da noch all die Frauen, die einen Nobelpreis in den Naturwissenschaften bekommen haben …

Quellen

[1] Mary Leakey. Wikipedia
[2] Etheldred Benett. The Geological Society
[3] Caroline Herschel. Fembio, Max-Planck-Gesellschaft
[4] Maria Kunitz. Wikipedia
[5] Maria Margaretha Kirch, geborene Winkelmann. Deutschlandfunk v.18.12.19, Enzyclopaedia Britannica
[6] Rosalind Franklin: Wikipedia, Max-Planck-Gesellschaft, Zeit v. 18.4.15, Enzyclopaedia Britannica
[7] Christiane Nüsslein-Volhard. Max-Planck-Gesellschaft, Fembio, Zeit (diverse Daten)

Foto Museum: ©Jörg Zägel CC BY-SA 3.0, alle anderen Fotos © K. Schwahlen