Karl-Marx-Allee. Was für eine Prachtstraße. Ein vierspuriger Boulevard, gesäumt von cremefarbenen Mietshäusern mit eleganten Pariser Charme. Das Ganze wirkt bei zauberhaftem Frühlingswetter als Sozia auf der Kawasaki noch viel imposanter. Die Nr. 33 ist ein viereckiger Kasten, der auf undefinierbare Art vielversprechend und verheißungsvoll ist.

Das Kino

Weißer Betonkasten auf grauen Sockel. 60er-Style von vorne bis hinten. Klare Kante, viel Glas, viel Holz, viel Platz. Wie aus der Zeit gefallen – oder in ihr steckengeblieben. Drei Schaukästen mit Filmplakaten und dazu das handgemalte Plakat an der Panoramaglasfront im ersten Stock. Auf schwerem Papier in alter Typo werden die Öffnungszeiten für die Originalversion und die deutsche Vertonung präsentiert.

 

Der Andrang während der Berlinale, wenn das International zum Premierenkino ist verlockend spürbar. Rechts und links die dezenten Kassen. Nochmal Glastüren. Das Foyer ist beeindruckend. Die wabenförmige Decke mit ihren mehr als 100 Glühbirnen (keine Energiesparlampen!) zum Greifen nah. Holzpaneele hier und im ganzen Haus prägen die Atmosphäre. Im Granitboden kupferfarbene Intarsien. Mittig – und mittiger geht nicht – eine runde Sitzgruppe aus klassischem Nappaleder. Heilige Halle. Hier herrscht kühle Ruhe.

Foto: SpreeTom (siehe Ende des Artikels)*Links und rechts ein schmaler Treppenaufgang. Hier schreitet man nicht herab, sondern hinauf. Und schweigt. Und staunt: Von innen wirkt die Glasfront, mit direktem Blick auf das Café Moskau, noch viel imposanter. Gerade geht rechts am Alex die Sonne unter, ihre Strahlen brechen sich in den Martinigläsern an der Bar. Die wirkt fast verloren in der Weite aus Glas und Holz. Zur Linken zwei puristische Sitzgruppen in rot.

Der Kinosaal. Nur einer, und der kann sich sehen lassen: Holzpaneele auch hier rundherum, Platz für mehrere hundert Leute, drei Sitzbereiche, alle bequem zu passieren. Über uns eine cremefarbene wellenförmige Deckenverkleidung, Ton in Ton mit silbrig changierenden Vorhang. Synästhetische Sinne würden den Gong, der den Hauptfilm ankündigt, in den passenden Farben hören. Alles passt auf Eleganteste zusammen.

Einzig das Frauenpaar vor uns guckt indigniert, als wir uns setzen, beschwert sich halblaut in den leeren Raum, dass unsere Knie an ihre Lehnen stoßen und rutschen beleidigt ein paar Sitze weiter, nicht ohne uns nochmal mit bösen Blicken bedacht zu haben. Sie hätten auch einfach was sagen können – zu uns.

Kino International

Karl-Marx-Allee 33
10178 Berlin Mitte
t: 030/247 560 11
w: http://www.kino-international.com/

20 Reihen, 551 Plätze, 17 x 9,2 Meter Leinwand, Dolby Digital Sound, behindertenzugänglich, freie Platzwahl
Preise:Mo (Kinotag): 5,50 €, Di und Mi 7 €, Do bis So 8,50 €

Der Film: Lachsfischen im Jemen

Jementischer Scheich (Amr Waked) ist begeisterter Lachsfischer und will nach schottischem Vorbild ein Angelparadies im Wüstenstaat aufbauen. Gleichzeitig braucht die britische Regierung in Person ihrer Pressesprecherin Maxwell (Kristin Scott Thomas) dringend eine positive Meldung aus dem arabischen Raum, um die „anglo-arabischen Beziehungen“ zu verbessern und vom Einsatz in Afghanistan abzulenken.

Harriet Chestwode-Talbot (Emily Blunt) kümmert sich beruflich als Anlageberaterin um Scheich Muhammad ibn Zaidi bani Tihama und verliebt sich in ihrer Freizeit in den Soldaten Robert, der (natürlich) nach Afghanistan versetzt, als vermisst gemeldet wird und möglicherweise tot ist.

Dr. Alfred Jones (Ewan McGregor), Lachs- und Forellenexperte mit leichtem Asperger-Syndrom, pflegt mit seiner Ehefrau die ein oder andere Zwangsneurose. Oberflächlich betrachtet funktioniert ihre Beziehung, ist aber auf den zweiten Blick schwer gestört.

Jones findet die Idee des Lachsfischens im Jemen (zu Recht) völlig bescheuert – und weigert sich an dem Projekt mitzuarbeiten. Macht es aber schließlich doch, weil a. seine Frau sich für ein paar Wochen der Karriere wegen nach Genf verabschiedet und b. sein Arbeitgeber Druck vom Ministerium kriegt, Alfred in den Jemen zu schicken oder zu kündigen.

Und so kommt es, wie es kommen muss: Ein Staudamm wird gebaut, Lachse werden aus Europa eingeflogen und siehe da, die Zuchtfische leben ihren Instinkt aus und schwimmen gegen den Strom. Der Scheich, charmant, intelligent und gut aussehend, spürt instinktiv, das Alfred und Harriet mehr verbindet, als sie sich eingestehen wollen. Die Pressesprecherin (grandios überdreht gespielt von Scott Thomas) lässt den Minister zur Eröffnung einfliegen und auch noch einen britischen Soldaten in petto, der aus Afghanistan geredet werden konnte. Es versteht sich, dass es sich um Robert, Harriets Liebelei aus Vorjemen-Zeiten handelt.

Die beiden Männer wissen nicht, was sie voneinander halten sollen, und Harriet kann sich zwischen Liebe und Pflicht entscheiden. Und weil vor einem Happyend noch etwas Schlimmes passieren muss, sprengen böse Männer den Damm und setzen alles unter Wasser, das aber so schnell weiterströmt, dass unsere Lachse auf dem Trockenen bleiben. Das Projekt scheint gescheitert, eine Rückkehr nach England Der Scheich ist geläutert und verspricht, die Menschen seines Landes mitentscheiden zu lassen. Alfred beschließt nun doch zu bleiben. Robert gibt Harriet frei, und der bleibt ja dann auch nichts anderes übrig, als sich in Alfred zu stürzen und das Lachsprojekt mit ihm gemeinsam fortzuführen. Und wenn sie nicht ertrunken sind, fischen sie noch heute.

Eindruck: Ziemlich klischeehaft. Die kleine Miss Harriet ist lieb und nett und entwickelt sich von der selbstbewussten Managerin zum liebenden Mäuschen, dessen Gewissenskonflikt nicht darin besteht, ob es ökologisch sinnvoll ist, in der Wüste ein Staudamm anzulegen, damit Cheffe angeln kann, ihr Konflikt besteht darin, sich zwischen zwei Männern zu entscheiden. Und natürlich entscheidet sie sich für die Liebe, während Alfred im Laufe des Fuilms selbstbewusster wird, offener, einfühlsamer, humorvoller und sich am Ende für seinen Job, der zugleich sein Hobby ist entscheidet. Unabhängig von ihr.

Die Einzige, die so weitermacht wie bisher und auch völlig unbeschadet aus der ganzenGgeschichte hervorgeht, ist Mrs Maxwell. Schnippisch, dominant und sehr effizient händelt sie ihre Familie mit Hund und vier Kindern, den Minister und die Presse.

Hatte der Film eine Botschaft? Hm. „Lebe deinen Traum und fische Lachse im Jemen?“ „Entscheide dich für den richtigen Mann?“ Auf keinen Fall: Rette die Welt und lass Tiere und Pflanzen dort, wo sie hingehören.“

Die schöne Landschaft übrigens war gar nicht Jemen, sondern Marokko.

Darsteller/innen:Ewan McGregor, Emily Blunt, Kristin Scott Thomas, Amr Waked u.a.
Drehbuch: Simon Beaufoy, basierend auf einer Geschichte von Paul Torday
Regie: Lasse Hallström
Kamera: Terry Stacey
Schnitt: Lisa Gunning

Großbritannien 2011, 108 Minuten

* Foto: SpreeTom